In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
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Dialog vernetzter Cyborgs – Welchen Einfluss hat die Cyborgisierung auf den digital vernetzten Menschen in seiner Selbst- und Fremdwahrnehmung?
Angetrieben durch Phänomene der Digitalisierung, Computerisierung und Vernetzung (Reckwitz, 2019, 225; 227) entwickelt sich gegenwärtig ein Kult des Individuellen. Einzigartigkeit und das Besondere stehen an vorderster Stelle (ebd., 8 ff.). Stundenlanges scrollen durch Instagram bietet Orientierung im Geflecht der entstehenden Identitäten (Krotz, 2003, 28). Um am Ball zu bleiben richtet sich der Mensch vermehrt im Virtuellen ein (Serres, 2019, 14). Die entstehenden virtuellen Egos ergänzen und verändern die durch den Körper gemachten »Ich«-Erfahrungen. Die Gesellschaft identifiziert und organisiert sich durch ihre digital vernetzten Medien.
Um Zugang zum virtuellen Netzwerk zu erhalten, lagert der Mensch Fähigkeiten auf technische Delegierte (z. B. das Smartphone) aus und erfährt damit eine Transformation seines Körpers (Serres, 2019, 22). Dies ist keine neuzeitliche Erscheinung: Seit Anbeginn seiner Entstehung erweitert sich der Mensch, sei es durch Sprache, Werkzeuge (Speer, Brille, Smartphone etc.) oder Sozialgüter (Kleidung, Schmuck, Geld etc.). Das Mängelwesen »Mensch« augmentiert sich zu jedem Zeitpunkt mittels seiner Techniken (Marquard, 2000, 12; 19). Die menschliche Körpererfahrung ist geprägt durch die Summe seiner Technologien (McLuhan, 2002, 235).
Jedoch verschieben sich durch die Digitalisierung die Beweggründe für eine Augmentation des Menschen: Von der Kompensation hin zur Optimierung. In den digital vernetzten Medien wird der Wert des Mensch messbar in der Anzahl seiner Likes (Foltinek, Rais & Schwegler, 2018, 10). Kompensieren ist nicht mehr ausreichend, das Ziel ist die langfristige Optimierung der menschlichen Spezies. Immer kleiner werdende Technik (O’Connell, 2017, 94), die unter die Haut geht, ist die Lösung: Das Hybrid aus Organismus und Technik betritt das Spielfeld und wird Cyborg getauft (Warwick, 2020, 73).
Der Kontext einer digital vernetzten Gesellschaft, die Optimierungsziele durch körperliche Eingriffe verfolgt, zeigt die Notwendigkeit auf, sich mit den entstehenden Cyborg-Individuen auseinanderzusetzen.
Der Begriff »Cyborg« geht auf das Konzept des kybernetischen Organismus (cybernetic organism) zurück (Meyer & Park, 2020, 5), das die Ansicht vertrat, sich menschlich-biologischer Evolution mittels kybernetischer Steuerung zu entziehen (Kilian, 2021, 217). Donna Haraway (1995) wiederum beschrieb die Cyborg als »eine Art zerlegtes und neu zusammengesetztes, postmodernes, kollektives und individuelles Selbst« (ebd., 51). Im heutigen Verständnis sind Cyborgs hybride Wesen – halb organisch, halb technisch – mit dem Ziel, die durch den biologischen Körper gegebenen Fähigkeiten des Menschen zu übertreffen (Meyer & Park, 2020, 5). Entwicklungen wie Brain-Computer-Interfaces (z. B. Neuralink), RFID-Chips unter der Haut oder auch Nanobots sollen diese Ziele realisieren. Ebenso existieren bereits bekannte Biohacker (Neil Harbisson, Stelarc, Kevin Warwick, etc.), die ihren Körper technisch erweitert haben. Dennoch dreht der Begriff des Cyborgs die Schleife um Optimierungsgedanken und gesellschaftliche Maßstäbe statt um Individualisierung durch Modifizierung. Wird der Mensch als Mängelwesen verstanden, ist er dann nicht bereits Cyborgs?
Die angestrebte Masterthesis vertritt die Auffassung des Cyborgs als Narrativ, das die Verflechtung des Menschen mit seiner Technologie aufzeigt – mehr Identitätsspektrum als neue optimierte Klasse des Menschen. Der Fokus auf die digitale Vernetzung führt vor Augen, dass das Cyborg-Individuum nicht mehr nur aus körperlichen Kollektiven, sondern auch aus virtuellen Konnektiven (Stelarc, nach Köhler, 2018, 66; Serres, 2019, 62) gebildet wird. Sollte der Körper zu einem Knotenpunkt des Internets erhoben werden, gilt es zu hinterfragen, wie der Mensch im Vergleich zu gegenwärtigen sozialen Medien zukünftig sozial vernetzt tätig sein möchte.
Der Mensch bewegt sich durch die Digitalisierung in einer Cyborg-Gesellschaft, deren Implantate Internetverbindungen und Informationssysteme sind. Digitale Technologie ermöglicht den Zugang zu diesen Implantaten. Gegenwärtig schon vernetzt durch externe Eintrittsmedien (Smartphone, Computer, CUIs etc.) sieht der Mensch sich künftig einer zuvor nicht da gewesenen, immersiven Einbettung des Körpers in ein technisches System gegenüber: Der Körper selbst wird Zugangsmedium zum Internet und ermöglicht neue Identitätserfahrungen. Wenn der Körper jedoch zum neuen Knotenpunkt des Internets wird, gilt es zu hinterfragen, wie der Mensch im Vergleich zu gegenwärtigen sozialen Medien zukünftig sozial vernetzt tätig sein möchte. Die aktuelle Kommunikation über soziale Medien unterliegt sozialen Ritualen, die durch fehlende sinnliche Erfahrung zu einer fehlgeleiteten Selbst-/Fremdinterpretation, als auch zu paradoxen Dialogen und Handlungsweisen führt.
Das Cyborg-Individuum befindet sich in der Krise: Es ist in einer Optimierungsgesellschaft gefangen, in der in sozialen Medien Individualität gepredigt, diese jedoch nur durch effiziente Normierung erreicht wird (Nymoen & Schmitt, 2021, 129). Dabei könnte das Annehmen des Narrativ »Cyborg« und die damit einhergehende technische Verantwortung neue Formen der vernetzten Körpererfahrung schaffen und die Chance auf gelebte Individualität bieten.
Welchen Einfluss hat die Cyborgisierung auf den digital vernetzten Menschen in seiner Selbst- und Fremdwahrnehmung?
Welche gesellschaftliche Auswirkung übt die Cyborgisierung auf die Rolle des Menschen aus?
Wie kommt es zu Identitätserfahrungen in sozialen Netzwerken?
Wie kann über sinnlich vernetzte Körpererfahrung zwischen Menschen kommuniziert werden?
Welche Chancen bietet ein taktil geleitetes Kommunikationssystem für die Selbst- und Fremdwahrnehmung des vernetzten Cyborgs?
Ziel der Masterthesis ist es, den Körper als Ausgangspunkt der Interaktion im Sinne eines Erfahrungsobjekts in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei soll in Form eines experimentellen Aufbaus eine Erfahrungssituation geschaffen werden, innerhalb der zwei Teilnehmende in einen nonverbalen Dialog miteinander treten.
In Anlehnung an den Begriff »Virtual Embodiment« (Kasprowicz, 2020) wird eine spekulative Situation erzeugt, wie sich vernetzte Cyborgs künftig auf virtueller Ebene eines sozialen Netzwerkes begegnen könnten. Um einen definierten Explorationsrahmen abstecken zu können, grenzt sich das gewählte Szenario auf das Übertragen von Emotionalität über Taktilität ein. Innerhalb körperlicher Berührungen sollen die kommunizierenden Personen neue Formen der Selbst- und Fremdwahrnehmung erkunden, die »zunehmenden Verschränkungen mit virtuellen Welten und […] [ihre] Rückwirkungen auf unser Körper-Bewusstsein« (ebd., 399) werden untersucht. Zusätzlich erfolgt eine Sichtbarmachung der Haut als lebendige Interaktionsfläche über Projectionmapping.
Die praktische Auseinandersetzung mit dem Narrativ des Cyborgs soll Impulse geben, die den gegenwärtigen Dialog bestimmenden digitalen Filteridentitäten (Nymoen & Schmitt, 2021, 63) zu überschreiten. Übergreifendes Bestreben der Masterthesis ist zum einen das Schaffen einer Installation, die eine Form des Cyborgisierungsprozess erfahrbar macht, zum anderen einen spekulativen Impuls für die Gestaltung taktiler Konnektiverfahrungen zu geben.
Die Masterthesis basiert auf einer iterativen Vorgehensweise gemäß dem Design Thinking Prozess. Der iterative Prozess erfolgt vor dem Hintergrund des Speculative Design.
In der ersten Phase wird eine umfassende Literaturrecherche auf wissenschaftlicher Basis vorgenommen. Ziel ist es, sich einen Überblick über die Thematik des Cyborgs zu verschaffen. Wiederholte Cluster-Iteration führt zu einer Fokussierung auf die in der Forschungsfrage benannten Zusammenhänge.
Im Rahmen von zwei Experteninterviews wird das Erarbeitete hinterfragt und Ansätze für eine praktische Auseinandersetzung gesammelt. Zusätzlicher geplanter Austausch mit externen Forschungsgruppen soll zu einem vergrößerten Kontaktnetzwerk verhelfen. Anvisiert wird hier der Austausch mit Menschen, die sich als Cyborgs interpretieren. Zusätzlich führt die Entscheidung für eine experimentelle, dialogische Auseinandersetzung zu einer umfassenden Benchmark-Analyse.
Im weiteren Designprozess werden qualitative Interviews mit Workshop-Anteil (Bodystorming) mit digital vernetzten Paaren angestrebt. Ziel ist es, erste Spekulationen über taktile Kommunikation und Übertragung von Emotionen aufzustellen. Die Ergebnisse werden unter anderem in Form von Empathy Maps, Emotional Journey Maps sowie Mentalen Modellen zusammengefasst.
Final wird ein experimentelles Interaktionskonzept im Rahmen eines installativen Kontexts sowie ein funktionaler Prototyp entwickelt, der qualitativ evaluiert wird. Das aufgestellte Interaktionskonzept soll hinsichtlich der Identitätsbildung und des Emotionsaustausch über taktile soziale Netzwerke untersucht und mit Handlungsmustern in gegenwärtigen sozialen Medien verglichen werden.
Foltinek, A., Rais, J., Schwegler, L. (2018). Cyborg-Centered-Design. Potenziale in der Gestaltung und Impuls zum Diskurs über die Cyborgisierung (Masterthesis, Strategische Gestaltung). http://design-cyb.org/
Haraway, D. (1995). Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen. C. Hammer, I. Stiess (Hrsg.). Frankfurt a. Main, New York: Campus Verlag.
Kasprowicz D. (2020). Virtual Embodiment. In D. Kasprowicz, S. Rieger (Hrsg.), Handbuch Virtualität. Wiesbaden: Springer VS.
Kilian, P. (2021). Participant Evolution: Cold War Space Medicine and the Militarization of the Cyborg Self. In A.C. Geppert, D. Brandau, T. Siebeneichner(Hrsg.) Militarizing Outer Space. Palgrave Studies in the History of Science and Technology. London: Palgrave Macmillan.
Köhler, M. (2018). Stelarc: Zwischen Biologie und Technik. Hautnah Dermatologie, 34(2), 66–66.
Krotz, F. (2003). Medien als Ressource der Konstitution von Identität. In C. Winter, T. Thomas, & A. Hepp (Hrsg.), Medienidentität. Identität im Kontext von Globalisierung und Medienkultur (S. 27–48). Herbert von Halem Verlag.
Marquard, O. (2000). Homo compensator. In Marquard, O. (Hrsg.), Die Philosophie des Stattdessen. Stuttgart: Reclam.
McLuhan, H. M. (2002). Medien als Ausweitung des Menschen. Medium und Botschaft. In G. Helmes, W. Köster (Hrsg.), Texte zur Medientheorie (S. 231-236). Stuttgart: Reclam.
Meyer, B., Park, E. (2020). „Cyborg“ – Chancen und Problematiken des Begriffs im Spannungsfeld zwischen Therapie und Transhumanismus. In: C. Bauer M., Deinzer L. (Hrsg.) Bessere Menschen? Technische und ethische Fragen in der transhumanistischen Zukunft. Berlin, Heidelberg: Springer.
Nymoen, O., Schmitt, W. M. (2021). Influencer. Die Ideologie der Werbekörper. Berlin: Suhrkamp.
O´Connell, M. (2017). Unsterblich sein. München: Carl Hanser Verlag.
Reckwitz, A. (2019). Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Modernen. Berlin: Suhrkamp.
Serres, M. (2019). Erfindet euch neu! Eine Liebeserklärung an die vernetzte Generation. Berlin: Suhrkamp.
Warwick, K. (2020). Cyborg Experiments and Hybrid Beings. In I. Pedersen & A. Illiadis (Hrsg.), Embodied Computing: Wearables, Implantables, Embeddables, Ingestibles. Cambridge, MA, London, England: MIT Press.
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Student*in Marie A. C. Steinbrügge
Erstprüfer*in Prof. Dominik Schumacher
Zweitprüfer*in Mareike Gabele
Drittprüfer*in Dr. Sandra Maria Geschke
Wann Samstag, 29. Mai 2021 | 11:00 Uhr