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Master Thesis || Dialog vernetzter Cyborgs

Master Thesis || Dialog vernetzter Cyborgs

Der vorliegende Beitrag beinhaltet eine Zusammenfassung der praktischen Auseinandersetzung und Forschung von Marie A. C. Steinbrügge, welche im Jahr 2021 entstand. Ziel der Arbeit war es, im Rahmen des »Interaction Design« die gesellschaftliche Rolle des Cyborgs zu hinterfragen und in Relation zum digital vernetzten Menschen zu setzen. Infolgedessen wurde unter Einbeziehung des Speculative Design eine Installation geschaffen, um Anstöße für Diskussionen über sinnliche Körpervernetzung zu geben. Das Ausstellungsobjekt ermöglicht mithilfe zweier Portale über Distanz einen taktilen, nonverbalen Dialog zu führen. Das Konzept wurde prototypisch umgesetzt und durchlief eine qualitative Evaluierung. Übergreifendes Bestreben der Masterthesis ist zum einen das Schaffen einer Installation, die eine Form des Cyborgisierungsprozesses erfahrbar macht. Zum anderen soll ein spekulativer Impuls für die Gestaltung taktiler Konnektiverfahrungen gegeben werden.

|| FORSCHUNGSFRAGE

Welchen Einfluss hat die Cyborgisierung auf den digital vernetzten Menschen in seiner Selbst- und Fremdwahrnehmung?

  • Welche gesellschaftliche Auswirkung übt die Cyborgisierung auf die Rolle des Menschen aus?
  • Wie kommt es zu Identitätserfahrungen in sozialen Netzwerken?
  • Wie kann über sinnlich vernetzte Körpererfahrung zwischen Menschen kommuniziert werden?
  • Welchen Einfluss nimmt ein taktil geleitetes Kommunikationssystem auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung des vernetzten Cyborgs?

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|| METHODIK & DESIGNPROZESS

Die Masterthesis basiert auf der iterativen Vorgehensweise des Design Thinking. Es werden sechs Phasen durchlaufen (Dam & Siang, 2018, S. 1; Brenner et al., 2016, S. 11):

1. Verstehen & Beobachten

2. Definition

3. Ideengenerierung (Konzept)
4. Prototyping
5. Testing
6. (Re-)Definition & Lernen

Zur thematischen Annäherung erfolgt mittels Sekundärforschung eine Verknüpfung von Literatur (Thesis, S. 10-91). Der Fokus ruht auf dem Identitätsverständnis des Menschen sowie dessen Kommunikation über soziale Medien (Instagram), als auch auf dem aktuellen Stand der Cyborg-Forschung. Die theoretische Herleitung wird durch zwei Experteninterviews (Experte 1: Robin Hädicke, Kulturwissenschaftler; Experte 2: Elle Nerdinger, Vorsitzende des Cyborgs e. V.) ergänzt (Thesis, S. 62-67). Um einen ersten Lösungsansatz herauszuarbeiten, wird eine qualitative Vorstudie durchgeführt (Thesis, S. 120-145).

Dem Leitsatz »Zukunft. Bitte berühren!« (Stetter, 2020, S. 29) folgend wird für die praktische Auseinandersetzung der Designansatz des Speculative Design gewählt. Dieses hat zum Ziel, Entwürfe einer möglichen Zukunft sinnlich erfahrbar zu gestalten (Stetter, 2020, S. 30). Statt um das »Problem-solving« geht es vielmehr um das »Problem-finding« (Dunne & Raby, 2013, S. vii). Spekulation bedeutet, sich Zukunftsfragen zu stellen und mittels Objekten abstrakte Probleme begreifbarer werden zu lassen (Stetter, 2020, S. 30; Dunne & Raby, 2013, S. 51).

Hieraus entsteht ein Konzept, welches prototypisch umgesetzt (Thesis, S. 164-211) und qualitativ evaluiert wird (Thesis, S. 214-229).

|| THEORETISCHER HINTERGRUND

Selbst- und Fremdwahrnehmung

Aus dem Literaturvergleich (u. a. Rosa, Latour, Vester, Hall und Marquard) geht der Mensch als Mängelwesen (Homo Compensator) hervor. Es kristallisiert sich heraus, dass der Mensch seine Lücken mithilfe eines Kollektivbestrebens kompensiert. Diesem Bestreben können kybernetische Ziele (Wechselspiel Ist- und Sollzustand) nachgesagt werden. Gegenpart eines eingegangenen Kollektivs bildet neben dem Homo Compensator als »ICH« das sogenannte »ANDERE«. In Wechselbeziehungen bringen das »ICH« und »ANDERE« der Akteur-Netzwerk-Theorie nach Latour folgend Hybride hervor, die das jeweilige Identitätsnetzwerk transformieren und neu sortieren.

Hybrid Mensch & Technik: Cyborgs

Eine Fokussierung auf die Technik im Zeitalter des Anthropozäns resultiert in der Figur des Cyborgs. Der Querschnitt des Forschungsstands führt zu der Erkenntnis, dass der Mensch als Hybrid schon immer ein Cyborg gewesen ist. Als Mängelwesen verbessert der Mensch jeher seine Fähigkeiten mit Werkzeugen (Speer, Brille, Smartphone etc.) und realisiert über Sprache und Güter der Selbstverwirklichung (Kleidung, Schmuck, Geld etc.) die Gesellschaft. Der Cyborg ist als Narrativ Ausdruck der wechselseitigen Beziehung des Menschen und seiner Technologie. Die Technologisierung des Alltags ist als Kulturalisierung zu begreifen. Der Cyborg gleicht als Narrativ einem Identitätsspektrum. Es liegt folglich im Ermessen der betrachteten Person und ihrer Einbettung ins Dispositivnetzwerk, welchen Grad der Cyborgisierung sie für sich annimmt und vertritt. Dabei variiert die Cyborg-Identität je nach Kompensationsfeld.

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Vernetzte Cyborg-Gesellschaft

Die Digitalisierung hat jedoch die Selbsterfahrung des Menschen verändert und neue Kompensationsfelder geöffnet. Die Menschen haben »nicht mehr den gleichen Körper […], […] [kommunizieren] nicht mehr auf die gleiche Weise, […] [nehmen] nicht mehr dieselbe Welt wahr, […] leben nicht mehr in derselben Natur, nicht mehr im selben Raum« (Serres, 2019, S. 15). Gemeinsam verfolgte Ziele und Zugehörigkeiten (soziale Gruppen, Glaubensrichtungen, Lebensstile, Geschlechter u. v. m.) befinden sich in der Auflösung (Serres, 2019, S. 17). Der Mensch ist in der sogenannten »Gesellschaft der Singularitäten« angekommen, in der Individualität und Einzigartigkeit gefördert und paradoxerweise sogar gefordert wird (Reckwitz, 2021, S. 9 f.). Digitalisierung, Computerisierung und Vernetzung (Reckwitz, 2021, S. 225; S. 227) sind Antriebe des Kult des Individuellen (Nymoen & Schmitt, 2021, S. 128). Die virtuelle Welt ist als Cyberspace Heimat des Homo Compensator geworden, wobei soziale Netzwerke (Instagram) das Sprachrohr dieser sind. Die zuvor durch den Körper und dessen Sinne gemachten »ICH«-Erfahrungen, werden ergänzt durch ein Cybernetzwerk aus virtuellen Egos. Medien geben dem Menschen nicht nur Orientierung in der Virtualität des Internets, sondern auch in der seines Identitätennetzwerks.

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|| PROBLEMSTELLUNG

Das Cyborg-Individuum befindet sich in der Krise: Es ist in einer Optimierungsgesellschaft gefangen (Nymoen & Schmitt, 2021, S. 129). Die sinnliche Erfahrung verliert in den virtuellen Kontakten an Bedeutung. Ohne Körper bleiben jedoch Kollektiv-Potenziale aus, sodass aus einem virtuellen Dialog ein Monolog wird.

Da durch die Cyborgisierung der Körper des Menschen in den Mittelpunkt rückt, muss die Frage gestellt werden, welche »Handlungsmacht virtuelle [...] [Identitäten] jenseits ihrer virtuellen Welten in Zukunft haben« (Kasprowicz, 2020, S. 387) sollen. Der Mensch sieht sich einer zuvor nie da gewesenen, immersiven Einbettung des Körpers in ein technisches System gegenüber. Der Körper selbst wird Zugangsmedium zum Internet (Internet-of-Cyborgs).

Es ergibt sich die Problemstellung, dass der Mensch bei gleichzeitiger Körpertransformation durch Cyborgisierung eine entsinnlichte Vernetzung über soziale Medien erfährt. Die daraus resultierende verzerrte Selbst-/Fremdwahrnehmung erzeugt das Verständnis des Cyborgs als Optimierer.

Das Cyborg-Individuum erfährt in der Optimierungsgesellschaft eine entsinnlichte Vernetzung bei gleichzeitig geforderter Körpertransformation. Das sich ergebende Spannungsverhältnis Leib/Körper ruft eine verzerrte Selbst-/Fremdwahrnehmung hervor und begünstigt das Zuwenden zu einem fehlgeleiteten mentalen Modell des Cyborgs.

|| ZIELSETZUNG

Ziel der Thesis ist, den Körper als Ausgangspunkt der Interaktion im Sinne eines Erfahrungsobjekts in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei soll in Form eines experimentellen Aufbaus eine Erfahrungssituation geschaffen werden, innerhalb der zwei Teilnehmende in einen nonverbalen Dialog miteinander treten.

Bereits jetzt muss über die Gestaltung nachhaltiger Netzkulturen und einen respektvollen Umgang nachgedacht werden. Sollte der Körper neuer Knotenpunkt des Internets werden, wie wollen wir im Vergleich zu gegenwärtigen (sozialen) Medien zukünftig sozial vernetzt tätig sein?

|| ANALYSE

Aufgrund des spekulativen Designansatzes und der erarbeiteten Problemstellung, enthält die Thesis eine experimentelle, dialogische Auseinandersetzung. Infolgedessen wird eine umfassende Analyse angegangen, die neben der Betrachtung existierender Produkte/Installationen (Benchmark-Analyse), heutige Cyborgs aufgreift und den Tastsinn unter die Lupe nimmt (Thesis, S. 100-119). Ebenso wird eine ausführliche Kontextanalyse vorgenommen.

Das Resultat dieser ist, dass eine Verbindung zwischen Körper/Leib bzw. Kollektiven/Konnektiven im realen wie auch digitalen Raum hergestellt werden muss. Des Weiteren macht die Benchmark-Analyse deutlich, dass ein Interesse an Taktilität-fördernden Produkten durchaus auf dem Markt vertreten ist. Allerdings sind Produkte in diesem Segment, die einer größeren Masse bekannt und in Verwendung sind, rar. Final unterstreicht die Fokussierung auf Installationskonzepte die Möglichkeit, ein Konzept aufzustellen, welches die vier Spannungsfelder »Taktilität«, »Identität«, »Spielerisch« und »Hinterfragend« ganzheitlich integriert.

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|| VORSTUDIE

Im nächsten Schritt wird eine praktische Analyse angestrebt. An der mit Paaren durchgeführten Vorstudie nehmen 8 Probanden/Probandinnen (N = 8, heterosexuelle Paare, weiblich: 4, männlich: 4, Durchschnittsalter: 23 Jahre, Altersspanne: 19-27 Jahre, durchschnittliche Beziehungslänge: 3,75 Jahre) teil. Ziel ist, Interaktionsweisen und Verhaltensmuster zu untersuchen sowie die 3. und 4. Unterfrage der Forschung zu erörtern.

Den Paaren werden Fragen bezüglich ihrer Selbst- und Fremdwahrnehmung auf Instagram gestellt. Im Anschluss werden innerhalb von Workshops Szenarien basierend auf Interaktionsweisen von Instagram durchlaufen. Diese werden in taktile Berührungsmuster mit dem Ziel, Emotionen zu übertragen, übersetzt. Während den Bodystormings wird einer Testperson die Augen verbunden, während die andere sie berührt.

Die Vorstudie unterstreicht die erarbeitete Problemstellung hinsichtlich der fehlgeleiteten Selbst-/Fremdinterpretation in sozialen Medien am Beispiel von Instagram. Zudem machen die Ergebnisse der Forschung deutlich, dass die Probanden/Probandinnen ihren virtuellen Charakter nicht als vollwertigen Teil ihrer Identität erkennen. Eine Selbstdarstellung über Instagram wird dementiert, was auf einen fehlenden Körperbezug zurückgeführt werden kann. Für den Gestaltungsprozess wird auf eine gezielte Übertragung von Emotionen zugunsten eines freieren Experimentierens verzichtet. Ebenso wird das Aufgreifen einer spezifischen Handlungssituation aus Instagram vermieden. Mit dem sozialen Medium werden zu intensiv bestimmte (Rollen-)Bilder verbunden, aus denen das spekulative Design allerdings auszubrechen gedenkt.

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|| IDEEN

Die praktische Auseinandersetzung mit dem Narrativ »Cyborg« soll Impulse geben, die digitalen Filteridentitäten, welche den gegenwärtigen Dialog bestimmen, zu überschreiten (Nymoen & Schmitt, 2021, S. 63) und sich auf vernetzte Begegnungen mit dem Anderen einzulassen. Es gilt zu spekulieren, wie das Cyborg-Individuum soziale Netze künftig webt (Haraway, 1995, S. 60).

Im Verlauf der Ideenfindung treten verschiedene Varianten und Ideenentwürfe auf. Diese werden mit den Experten/Expertinnen Robin Hädicke und Elle Nerdinger besprochen. Auch wird ein weiterer Experte (männlich, Interaktionsdesigner) für die technische Realisierung hinzugezogen. Zusätzlich werden Bodystormings durchgeführt, um sich taktiler Erfahrung anzunähern.

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Im Rahmen weiterer Ideenfindungsprozesse unterstützt durch Mitstudierende sowie fachfremde Personen wird die Variante »Taktile Portale« favorisiert und ausgewählt. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf Tätowierungen als visuelles Mittel gelegt, da sie Zeichen eines Sich-Darstellens vor anderen (Fuchs, 2013, S. 85) und Ausdruck des Selbst sind.

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|| KONZEPT

»CYBORG« ist eine interaktive Installation. Sie stellt eine experimentelle Erfahrungssituation bereit, innerhalb der zwei Teilnehmende in einen taktilen, nonverbalen Dialog miteinander treten. Zwei Portale (Portal 1: »Sending«; Portal 2: »Receiving«) schaffen eine Verknüpfung zwischen der realen sowie der digitalen Dimension. So können sich Teilnehmende über den Ausstellungsraum hinweg berühren, ohne sich tatsächlich auf Realebene körperlich anzunähern. Der Kontakt erfolgt auf virtueller Ebene über identitäre Ausweitungen der Interagierenden, wobei Berührungen durch Vibrationen spürbar gestaltet werden.

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Portal 1: Sending

Mittels des Sending-Portals können sich die Benutzenden als aktiver Teil eines Dialogs erfahren. Berührungen werden gezielt und selbstbestimmt durch sie ausgeführt. Personen müssen in das Portal wie in eine Box hineingreifen. In die Oberfläche ist ein durchsichtiges LCD-Display eingelassen, welches Einblick in den darunter liegenden Interaktionsraum bietet. In diesen integriert ist ein flaches, weiches Objekt in Handform.

Die Hand der interagierenden Personen ist in Sending frei beweglich, sodass die Handabbildung haptisch erkundet werden kann. Hierdurch lösen Benutzende Berührungen aus. Des Weiteren ergänzt das Display das Wechselspiel von echter Hand und Objekt-Hand. Zu sehen ist eine Augmentierung der Hand des/der Benutzers/in sowie die Hand des/der Interaktionspartners/in an Portal 2.

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Portal 2: Receiving

Mit dem Portal Receiving erleben Benutzende sich als passive Dialogeinheit. Im Rahmen der Portalnutzung werden sie durch eine andere Person berührt. Dabei können sie ihre linke Hand auf die Oberseite in einem dafür vorgesehenen Bereich ablegen. Dieser wird abgesteckt durch ein Handobjekt, das dem aus Portal 1 entspricht. Die platzierte Hand verbleibt während der gesamten Erfahrungssituation in dieser Position.

Unterhalb des weichen Handobjekts sind Vibrationsmotoren eingelassen, die taktil spürbare Reize auslösen. Sie dienen der Übertragung der Berührungen aus Portal 1. Die Hand der benutzenden Person wird visuell durch Tattoo-Projektionen erweitert, die auf das taktile Feedback abgestimmt sind. Ebenso wird die berührende Hand des Gegenübers aus Portal 1 dargestellt.

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Sensorischer Ansatz & Aussagekraft

Das Ausstellungsobjekt ermöglicht Nutzenden eine Grenzerfahrung. Die Dialogbeteiligten erfahren sich und ihren Körper als Konnektive des digitalen Zeitalters.

In Portal 1 geht es darum, wie durch einen Spiegel (transparentes Display) Einblick in einen Cyberspace zu erhalten. Dahingegen stellt Portal 2 eine entfremdende Form taktiler Erfahrung bereit, da die nutzende Person ihre eigene, reale Hand sieht und spürt, jedoch von einer virtuellen Identität berührt wird. Zusätzlich erhält die taktile Wahrnehmung durch die Vibrationen neben Nahsinn-Qualitäten (z. B. Druck) auch Fernsinn-Eigenschaften (z. B. Distanzüberwindung) (Mark, 2020, S. 68).

Die Schnittmenge der realen Hand und der übertragenen virtuellen Hand an beiden Portalen zeigt, dass Realraum und Cyberspace unauflösbar miteinander verknüpft sind. Es ergibt sich ein Spannungsraum, da die Dialogbeteiligten nur von ihren Portalen aufblicken müssen, um Virtualität und Realität abzugleichen. Durch das »Sehen« der anderen Person wird die Unschärfe des digitalen Raums aufgehoben, durch das distanzierte »Spüren« werden be-greifbare Linien geschaffen.

Die Installation »CYBORG« schafft eine vernetzte Begegnung, sodass die Portale einen spekulativen Gegenentwurf zur gegenwärtigen Kommunikation über soziale Medien bieten.

Tätowierungen als Metapher

An den Stellen körperlicher Berührung erlangt der Mensch Bewusstsein (Serres, 2012, S. 20). Werden diese Bereiche koloriert, ergibt sich eine für jeden Menschen einzigartige Tätowierung, die seine Identitäten widerspiegelt (ebd., S. 21). In der Installation tritt die Haut der Teilnehmenden als etwas Leuchtendes hervor (ebd., S 22). Die Tätowierungen lassen das »Tastbare sichtbar« werden und entwerfen ein »abstraktes Bild des Taktilen« (ebd., S. 23). »Abstrakt, damit wir uns vom Sichtbaren abwenden und zum Tastbaren finden« (ebd., S. 23).

Die Aussageform und entlehnte Optik der Projektionen fußt auf dem Tā Moko, dem traditionellen Körperschmuck der Ureinwohner (Māori) Neuseelands (Te Awekotuku, 2003). Die Linientätowierungen repräsentieren Identität, Lebensweg und betonen Körperformen. Aufgrund dessen werden Linienführungen in Form einer generativen Grafik umgesetzt. Der entstehende Dialog der Installation »CYBORG« wird als ein taktiler Werdegang verstanden: Die projizierten Linientätowierungen (Portal 2) bauen sich während des Interaktionsgeschehens auf. Berührungen verändern das Gesamtbild, da die gezogenen Linien immer die Areale der Berührung umkreisen.

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Dialog?

Ein Irritationsmoment der Installation ist, inwiefern durch diese ein Dialograum aufgemacht wird. Der Dialog ergibt sich auf vier Ebenen:

  • Fokussierung auf Teilaspekt eines Dialogs (Übermitteln eines Zugegen seins)
  • Austausch der Identitäten (Begegnung der virtuellen Identität des Gegenübers)
  • Blickkontakt der Besuchenden
  • Interaktionsraum & Spekulation (Nachrichten übermitteln, Diskussionen erzeugen)

|| PROTOTYP

Ziel der prototypischen Umsetzung ist die Repräsentation der Kernelemente des (Design-)Konzepts der Installation »CYBORG«. Der Fokus der technischen Realisierung liegt auf der Kommunikation beider Portale. Dies meint die Berührungsabnahme bei Portal 1 sowie die Ansteuerung der Vibrationsmodule des Portal 2. Des Weiteren wird sich den Handprojektionen (Tätowierung, Portal 2) schrittweise angenähert. Auf eine visuelle Übertragung der Hände auf die gegenseitigen Portale wird in der ersten Prototypen-Iteration verzichtet.

Portal 1

Die Berührungsabnahme erfolgt über eine Druck-Matrix mit 40 Schnittstellen, die sich den piezoresistiven Effekt zu nutzen macht. Dieser umfasst die Änderung eines Widerstands durch mechanischen Einfluss (Druck), welche gemessen werden kann. Eine Anleitung für den Bau einer solchen Berührungsmatrix ist hier zu finden: https://www.kobakant.at/DIY/?p=7943

Der Datentransfer zwischen den beiden Portalen erfolgt im Prototyp mittels serieller Kommunikation.

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Portal 2

In den Prototyp des Portal 2 werden 24 Vibrationsmotoren integriert. Ihre Anordnung orientiert sich an den Schnittstellen der Druck-Matrix aus Portal 1. Für die Ansteuerung der Vibrationsmotoren wird eine Leiterplatte angefertigt, um eine optimale Anordnung der verwendeten Module zu gewährleisten und Lötarbeiten gering zu halten.

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Generative Grafiken

Für die Handprojektionen an Portal 2 wird sich im Prototyp für JavaScript als Programmiersprache in Kombination mit der JavaScript-Bibliothek p5.js entschieden. Dabei wird ein Flow Field (Vektor-Feld) erzeugt, nach dem sich Partikel bewegen. Sobald eine Berührung an Portal 1 erfolgt, wird die Fließrichtung der Partikel anhand von Attraktoren neu definiert. Die Attraktoren entsprechen der Position der Vibrationsmodule.

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|| EVALUATION

Im Rahmen der Thesis wird eine Evaluation durchgeführt (Thesis, S. 212-229). An dieser nehmen vier Probanden/Probandinnen (N = 4, weiblich: 2, männlich: 2, Durchschnittsalter: 21,5 Jahre, Altersspanne: 19-25 Jahre) teil. Anzumerken ist, dass zwei der vier Teilnehmenden bereits in der Vorstudie mitwirkten. Ziel der Evaluation ist, das Interaktionsverhalten der Nutzenden mit dem Prototyp zu beleuchten sowie eine Reflexion der Forschungsfragen zu gewährleisten. Innerhalb des Testens kommunizieren die Teilnehmenden mit einer Hilfsperson. Dabei interagieren die Probanden/Probandinnen zuerst mit Portal 2, während Portal 1 sowie die Hilfsperson verborgen werden. Im Anschluss können die Testpersonen Portal 1 ausprobieren und der Sichtschutz wird entfernt.

Die Ergebnisse zeigen, dass die fehlenden Punkte des Konzepts (z. B. Handübertragung) wichtige Funktionen sind und notwendigerweise umgesetzt werden müssen. Die Interaktionsweise mit den Portalen wird dennoch bereits im prototypischen Zustand verstanden. Insgesamt ist hervorzuheben, dass durch den ersten Prototyp für 3/4 Probanden/Probandinnen sinnliche Vernetzung be-greifbarer geworden ist.

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|| FAZIT

Die Masterthesis kommt zu dem Schluss, dass das Selbstbewusstsein des Menschen über seine Technik bestimmt und geformt wird. Der Mensch ist schon immer Cyborg gewesen. Des Weiteren zeigt die Arbeit, dass intensive/irreversible Formen der Kollektivbildung (z. B. Implantationen) Angebotsstrukturen der Cyborgisierung und nicht ihr Ausgangspunkt sind. Demzufolge löst der Cyborg-Status das Mensch-Sein nicht ab.

Aus diesem Blickwinkel beschreibt die untersuchte Cyborgisierung die fortgesetzte Entwicklung von Akteur-Netzwerken sowie die Bildung von Kollektiven. Ein fehlender Körperbezug im digitalen Raum kann als Indiz für die verzerrte Selbst- und Fremdwahrnehmung in sozialen Medien verstanden werden. Die Ergebnisse der Vorstudie unterstützen dies. Daher ist eine grundlegende Erkenntnis der Arbeit, dass im Design von Produkten, Dienstleistungen, Services etc. immer der menschliche Körper und Leib einbezogen werden sollte. Das erarbeitete Konzept hat in seiner prototypischen Umsetzung das Potenzial, über den Tastsinn einen ersten Körperbezug im Cyberspace herzustellen. Dennoch lassen die Ergebnisse der Vorstudie/Evaluation schlussfolgern, dass (vibro-)taktile Kommunikation alleinstehend nicht ausreichend ist. In der Evaluation kristallisiert sich ein Mehrwert durch die Kombination verschiedener Sinne heraus. Zudem führt die Evaluation vor Augen, dass im Virtuellen die Ausrichtung des Körpers bzw. der Dialogpartner/innen zueinander und das Signalisieren eines Zugegen seins Gewicht hat. In diesem Zusammenhang sollte sich zukünftige Forschung der Frage widmen, wie eine Ausrichtung des Körpers im virtuellen Raum gestaltet werden kann.

Ein Annehmen des Cyborg-Narrativs könnte zu einer neuen technischen Verantwortung führen. Die Technik wird aus der negativen Konnotation der Kybernetik gelöst und als positives Mittel der Kulturschaffung eingesetzt. Die durchgeführte Forschung sowie das erstellte Konzept legen nahe, Nutzenden Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie selbst eine individuelle Modifizierung und Vernetzung vornehmen können.

|| AUSBLICK

Das mit dem Konzept verfolgte Ziel ist, einen Beitrag zum gesellschaftlichen Cyborg-Diskurs zu leisten. Eine Weiterentwicklung ist notwendig, um dem Ansatz des Speculative Design gerecht zu werden. Dabei werden die nachfolgenden Themenbereiche hervorgehoben:

1. Erweiterung des Prototyps

Die fehlenden Ansätze des Konzepts sollen in einem neuen Designzyklus integriert werden. Fehler gilt es auszubessern und Funktionen zu optimiert.

2. Evaluationsschleife

Sobald der Prototyp durch die Augmentierung der Hände des jeweiligen Anderen erweitert wurde, ist eine erneute Evaluation vonnöten. Hier soll beleuchtet werden, ob taktile Begegnung im virtuellen Raum verstanden wird. Zudem wird eine größere Anzahl an (internationalen) Testpersonen angestrebt. 

3. Schlüsselpartner finden

Um das Konzept in die nächste Phase überführen zu können, müssen strategische Partnerschaften (Osterwalder & Pigneur, 2010, S. 38 f.) eingegangen werden. Sie stellen Gelder und Materialien bereit und übernehmen ein Teil des Risikos (ebd., S. 39). Zu nennen sind hierbei:

  • Messen, Museen oder Veranstaltende (z. B. ZKM, Futurium etc.)
  • Bundesbehörden wie das »Bundesministerium für Bildung und Forschung« (BMBF)
  • Firmen mit Innovationszentren (z. B. MERCK)

4. Expansion

Das Konzept kann künftig eine Erweiterung erfahren. So können die Portale an verschiedenen Standpunkten (Museen, Messen etc.) der Welt aufgebaut werden. Zusätzlich fasst die Autorin den öffentlichen Raum (Einkaufszentren, Bildungseinrichtungen, Foyers von Ämtern etc.) in den Blick. Ziel dahinter ist, den geplanten Diskussionsraum in einer Alltagssituation zu eröffnen.

|| VIDEO

|| LITERATUR

Brenner, W., Uebernickel, F. & Abrell, T. (2016). Design thinking as mindset, process, and toolbox. In Design thinking for innovation (S. 3-21). Cham: Springer.

Dam, R., & Siang, T. (2018). What is design thinking and why is it so popular. Interaction Design Foundation. Zuletzt aufgerufen am 28. Mai 2021, von https://www.interaction-design.org/literature/article/what-is-design-thinking-and-why-is-it-so-popular

Fuchs, T. (2013). Zwischen Leib und Körper. In: Hähnel, M. & Knaup, M. (Hrsg.), Leib und Leben: Perspektiven für eine neue Kultur der Körperlichkeit. Darmstadt: WBG. https://www.uni-heidelberg.de/md/philsem/phaenomenologie/zwischen_leib_und_korper.pdf

Haraway, D. (1995). Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen (C. Hammer & I. Stieß (Hrsg.)). Frankfurt a.M., New York: Campus Verlag.

Kasprowicz, D. (2020). Virtual Embodiment. In: Kasprowicz, D. & Rieger, S. (Hrsg.), Handbuch Virtualität (S. 385–402). Wiesbaden: Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16342-6_22

Mark, E. (2020). Taktil-performative und mikrophänomenologische Forschungspraxis zur Erschließung von Wahrnehmungsprozessen. Zentrale Hochschulbibliothek Flensburg. https://www.zhb-flensburg.de/?29421

Nerdinger, E. (2020, 12.August). Science Reality [Vortragsfolien]. slideshare. Zuletzt aufgerufen am 15. November 2021, von https://www2.slideshare.net/ElleAustinNerdinger/science-reality

Nymoen, O., Schmitt, W. M. (2021). Influencer. Die Ideologie der Werbekörper. Berlin: Suhrkamp.

Osterwalder, A., & Pigneur, Y. (2010). Business Model Generation: A Handbook for Visionaries, Game Changers, and Challengers. Hoboken: Wiley.

Reckwitz, A. (2021). Die Gesellschaft der Singularitäten (4. Auflage). Berlin: Suhrkamp Verlag.

Satomi, M., & Perner-Wilson, H. (o. D.). Pressure Matrix Code + Circuit. How to Get What You Want. Zuletzt aufgerufen am 07. November 2021, von https://www.kobakant.at/DIY/?p=7943

Serres, M. (2012). Die fünf Sinne (5. Auflage). Frankfurt a. M.: Suhrkamp Taschenbuch Verlag.

Serres, M. (2019). Erfindet euch neu! Eine Liebeserklärung an die vernetzte Generation (4. Auflage). Berlin: Suhrkamp Verlag.

Stetter, B. A. (2020). Zukunft. Bitte Berühren! Über Spekulatives Design im Zeitalter des Post-Materialismus. Swissfuture, Magazin Für Zukunftsmonitoring, 3, 29–33. https://arbor.bfh.ch/id/eprint/13576

Te Awekotuku, N. (2003). Ta Moko: Culture, body modification, and the psychology of identity. In Tatau/Tattoo: Embodied Art and Cultural Exchange c. 1760-2000. Maori and Psychology Research Unit, University of Waikato.

|| PDF MASTERTHESIS

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|| VERTEIDIGUNG-TERMIN

Student*in                 Marie A. C. Steinbrügge

Erstprüfer*in              Prof. Dominik Schumacher

Zweitprüfer*in           Mareike Gabele

Drittprüfer*in             Dr. Sandra Maria Geschke

Wann                          Freitag, 03. Dezember 2021 | 09:30 Uhr

Wo                               https://hs-magdeburg.zoom.us/j/87392863094